Die folgende Geschichte ist eine wahre Begebenheit mit realen Personen. Bitte lesen Sie sie mit Respekt.
Sieben Sitze hat der Kleinbus, sieben Kinder fahren täglich mit mir zur Schule. Eigentlich müßte es „fuhren“ heißen, denn im Laufe des Schuljahres werden es weniger, zudem wechselt der Personenkreis fast täglich. Die Kinder sind häufiger krank als andere Kinder, müssen auch mal für einige Zeit ins Krankenhaus, denn sie sind das, was wir „behindert“ nennen. Dabei ist es eigentlich die Gesellschaft, die sie hindert, am Leben teilzunehmen, indem sie gedankenlos einen Teil ihrer Mitglieder ignoriert.
Einer meiner ständigen Fahrgäste ist Manuel, ein blonder, aufgeweckter Junge, der aber leider nur Laute ausstoßen kann. Seine Arme und Beine hingegen sind fast ständig in Bewegung, besonders, wenn er auf etwas aufmerksam machen will, wenn er sich freut oder auch unzufrieden ist. Wann immer es geht sitzt er vorn neben mir, denn er mag es, auf die Straße und die Umgebung zu schauen und zu sehen, was ich da tue. Die bunten Knöpfe und Armaturen interessieren ihn besonders, er möchte immer irgendwo drauf drücken, doch sein Sicherheitsgurt hält ihn fest auf seinem Platz, so muß er sich damit begnügen, mir bei der Arbeit zuzuschauen. Sobald wir abfahren wollen beobachtet er interessiert, wie ich den Motor starte, den Blinker einschalte… Seine Mutter winkt vor dem Fenster, er sieht sie nicht mehr. Vergessen sind auch ihre Ermahnungen, seine Mütze bis zur Schule auf dem Kopf zu lassen. Spätestens nach der nächsten Kurve – zack, ist sie ab! Natürlich bewegen sich seine Arme dabei heftig durch die Luft. Wenn seine Bewegungen zu sehr in meine Richtung gehen, rufe ich manchmal spaßhaft: „Manuel, Du oller Zappelphilipp, gib mal Ruhe!“ Dann muß er lachen, stößt hohe Freudenschreie aus und kann erst recht nicht ruhig sein. Manchmal fürchte ich, daß ihm das Armaturenbrett zum Opfer fällt.
Ist der Platz vorn schon besetzt, sitzt er hinter mir. Während einer solchen Fahrt spürte ich plötzlich, wie etwas leicht an meinen Haaren zog. Sie sind länger und werden durch ein Band zusammengehalten. Unwillig schüttelte ich den Kopf in dem Glauben, daß die Haare sich in der Kopfstütze verfangen hätten. Kurze Zeit darauf zog es schon wieder! Vorsichtig drehte ich an der nächsten Ampel den Kopf – Manuel saß mit ausgestrecktem Arm und streichelte unglaublich sanft und hingebungsvoll meine Haare! „Ach Manuel,“ dachte ich gerührt, „was bist Du doch für ein Wunderknabe!“
Auf der Fahrt zur Schule steigen noch weitere Kinder zu. Manuel ist inzwischen ruhiger geworden und versucht, was im Auto so herumliegt – Stadtplan, Zeitung, manchmal Handschuhe – in die Finger zu bekommen. Er kann flink sein, der Manuel! Nur das Einsteigen macht ihm Schwierigkeiten. Statt morgens hinter dem Lenkrad zu sitzen, steige ich lieber aus, um im Notfall zufassen zu können. Seine Mutter hilft ihm beim Einsteigen, es geht mühsam: „So, das linke Bein nach oben, jetzt das rechte. Strecken, Manuel, der Po muß hoch!“. Ich sehe zu und rufe: „Los, hoch den Arsch!“, da geht gleich gar nichts mehr, denn Manuel muß lachen. Wenn er lacht, kann er nicht steigen. Klar dauert dadurch alles länger, aber sein Lachen ist es wert. Ich komme lieber später an der Schule an, als auf das Lachen dieser Kinder zu verzichten. Wie oft können sie das?
Nun sind erstmal sechs Wochen Ferien, danach sehen wir uns wieder. Ich freue mich schon darauf. Manuel hat mir schon „gezappelt“, daß er sich auch freut.