Den Männern sagt man nach, daß sie nicht zuhören, aber diese Geschichte wird zeigen, daß es kein rein männliches Problem ist. Doch der Reihe nach:
Der Tag verspricht ein schöner Spätsommertag zu werden, vielleicht der letzte im September. Nur ein paar kleine Wölkchen sind am Himmel, kein Regen in Sicht, der Wetterbericht gibt 25° als Höchsttemperatur vor. Ein Tag, wie geschaffen für eine Radtour in den Spreewald. Für einen Wettbewerb brauche ich noch einige gute Fotos von Spiegelungen. Vielleicht sind ja auch schon ein paar Blätter gefärbt, das macht sich immer ganz gut in Verbindung mit Wasser. Also lade ich meine Ausrüstung sowie ausreichend Getränke und Verpflegung für den Tag aufs Rad. Die Straupitzer Mühle ist bekannt für ihr schmackhaftes Leinöl, sie liegt gewissermaßen am Weg, etwas mehr als 20 km von mir entfernt. Das kann ich gut verbinden. Das Internet bestätigt trotz meiner Zweifel, daß die Mühle heute geöffnet ist. Gut gelaunt starte ich. „Heit is so a schiener Doag, na-na-na-nana…“ Ein bayerisches Kinderlied, vor einigen Jahren zum Wiesn-Hit avanciert, geht mir dabei durch den Kopf. Seltsam, daß einem immer die Dinge, an die man sich nicht erinnern möchte, zuerst einfallen. Ich muß mal einen Gehirnforscher fragen, wie man das ändert, wenn es überhaupt möglich ist. „Heit is so a… “ Nein, hör‘ doch auf! Heute ärgern mich nicht einmal die Pkw-Fahrer, die widerrechtlich den Radweg durch den Wald als Abkürzung nutzen.
Es ist wärmer als ich dachte. Also halte ich mal an, um etwas zu trinken und die Jacke auszuziehen. Hinter mir hält ein älteres Paar, auch auf Fahrrädern ohne Motor, wie ich anerkennend feststelle, unterwegs. Kürzlich überholte mich an einer Steigung, bei der ich schon etwas pusten mußte (naja, Gesamtgewicht meines Rades 130 kg) ein dürrer Senior ziemlich mühelos – ich wollte schon fragen, was er eingenommen hat. Da sah ich den Elektromotor. Ist das noch radfahren? Nicht für mich. Aber dazu ein andermal. Das Paar sucht nach einem Weg, die Frau liest laut die Schilder vor. „Cottbus!“ ruft sie, „da geht’s nach Cottbus!“ „Den kann ich nicht empfehlen!“ schaltete ich mich ungefragt ein, denn ich weiß, daß der Weg nach ein paar Kilometern zu einer üblen Schotterpiste wird. „Wir wollen nicht nach Cottbus“ sagte der Mann, „wir wollen zu dem Turm da!“ Er meint den Bismarck-Turm. „Ja,“ sag ich, „wenn Sie geradeaus weiter fahren, kommen Sie genau hin.“ „Und dann gibt’s doch noch das mit den Weiden da…“ „Sie meinen den Weidendom? Der ist gleich gegenüber, den können Sie nicht verfehlen.“ „Danke. Wir wollen dann weiter nach Straupitz zur Mühle, da waren wir mal vor 10 Jahren.“ „Da will ich auch hin, aber ich fahre hier links ab.“ „Wir wollen ja erst zum Turm.“ Ich erkläre ihnen die besten Wege, die Beiden bedanken sich freundlich und setzen sich wieder in Bewegung. Die Frau ruft mir fröhlich zu: „Wir sehen uns!“ Ich rufe zurück: „Na, ich bin eher da!“ Keine halbe Stunde dauert es, bis ich die Mühle erreiche. Die Tür steht offen, aber nicht die beiden Tore am Zaun. Sollte die Mühle und der kleine Laden mit Gaststätte doch geschlossen sein? Kein Mensch ist zu sehen, das Gelände leer, nur vor dem Tor, an dem ich stehe, lädt ein Lkw-Fahrer Baustoffe ab. Am Laden ist ein Schild, das den Montag als Schließtag ausweist. So ein Pech! Gut, daß der Leinölkauf nicht mein einziges Vorhaben ist, ich hätte mich sonst geärgert. Während ich noch unentschlossen hin und her laufe und dabei überlege, ob wohl der Gemüseladen Leinöl der Mühle führt, fährt ein Pkw durch das zweite Tor. Eine junge Frau umrundet das Haus und öffnet die Tür des Ladens. „Hallo junge Frau!“ rufe ich ihr zu, „wer pflegt denn die Öffnungszeiten im Internet? Die unterscheiden sich von Ihrem Schild hier!“ „Im Internet stehen die richtigen Zeiten.“ „Nein, da steht, daß montags geöffnet ist, was aber nicht stimmt.“ „Dann müssen Sie den Chef fragen, der ist aber heute nicht da, wir haben geschlossen!“ Das blieb mir nicht verborgen. „Wie kann ich ihn erreichen?“ „Er ist heute nicht da, wir haben geschlossen!“ Ob die Wiederholung etwas daran ändert? Inzwischen ruft der Lkw-Fahrer: „Ist das hier für Euch, 11a?“ „Ja!“ ruft sie und öffnet das Tor so, daß er gerade hindurch paßt. „Gibt’s das Leinöl hier noch irgendwo im Ort zu kaufen?“ frage ich. „Nein, das gibt’s nur hier.“ Inzwischen steht neben mir noch ein Mann. „Ich komme den Wasserzähler ablesen, der Termin ist angemeldet.“ „Bei mir ist nichts angemeldet, Sie haben Glück, daß ich gerade da bin!“ Sie läßt auch ihn hinein. Ich fasse mir ein Herz. „Sehen Sie eine Möglichkeit, mir vielleicht ausnahmsweise etwas Leinöl zu verkaufen? Ich bin extra von Cottbus mit dem Rad…“ Ich versuche, erschöpft auszusehen, 20 km sind ja keine Anstrengung für mich. Es gelingt mir nicht. Sie scheint trotzdem Mitleid zu haben. „Dann müssen Sie sich beeilen, ich habe nicht viel Zeit!“ Ich sprinte hinter ihr her in den Verkaufsraum. Sie ist schon mit dem Ableser im Nebenraum verschwunden und ruft: „Ich habe aber nur kleine Flaschen!“ „Ich habe Flaschen mit!“ rufe ich zurück. Sie kommt an den Tresen, ich habe die Flaschen schon hingestellt, schließlich kenne ich mich aus. „Die hier braucht einen neuen Verschluß,“ sage ich, „der ist überdreht.“ Ungerührt läßt sie das Öl in die Flaschen laufen. Sie verschließt die Flaschen und bemerkt dann den defekten Verschluß, während ich ratlos zusehe.
„Ja, der ist kaputt, habe ich doch gesagt!“ „Wie soll ich das jetzt machen, mit Öl drin?“ Mein Vorrat an Verständnis und Geduld sinkt schlagartig auf null, während sie schimpft: „Junger Mann, ich muß Kaffee für die Handwerker machen und dann an die Buchhaltung! Meine Kollegin reißt mir den Kopf ab, ich sollte schon längst weg sein!“ Sie reicht mir eine Plastiktüte. Jetzt geht bei mir die rote Lampe an: „Soll ich dann das Leinöl aus der Tüte zutschen, oder wie?“ Sie stöhnt und entleert die Flasche wieder. „Wie soll ich das jetzt abkriegen?“ „Mit einem Messer.“ „So ein Messer hab‘ ich nicht!“ „Sie werden doch ein Küchenmesser haben!“ Sie holt mir eines, ich schneide flink den Verschluß von der Flasche. Sie füllt sie wieder, drückt den Verschluß drauf und stöhnt: „Nein, jetzt kommen noch mehr Leute, wie werde ich die los? Die Handwerker sind zu doof, das Tor zu schließen!“ Daß sie selbst das Tor hinter sich offen ließ, entgeht ihr offensichtlich. Ich bezahle. „Gucken Sie sich das an!“ sagt sie, als ob ich etwas dafür könnte. „Da kommen gleich noch zwei, denen habe ich unterwegs den Weg gezeigt“ erkläre ich. „Bloß nicht!“ sagt sie und scheucht den Ableser und mich aus dem Raum. Vor der Tür steht ein Paar und studiert die Karte. „Heute ist zu“ sage ich zu der Frau. „Das haben uns jetzt schon fünf Leute gesagt!“ entgegnet sie heftig. „Ach, manche Sachen kann man nicht oft genug hören. Wenn Ihr Mann Ihnen sagt, daß er Sie liebt, hören Sie das bestimmt gern öfter als sechs mal!“ Ihr bleiben die Worte im Hals stecken, der Mann grinst. Er blickt auf meine Flaschen. „Sie haben aber etwas bekommen.“ „Ja, ich habe es mit Drohungen versucht, das hat aber nicht funktioniert. Erst, als ich ein Gebet sprach, hat’s geklappt!“ Er schaut mich an, als könnte ich die Lottozahlen vorhersagen.
Vor der großen Schinkelkirche halte ich nochmal an, setze mich in den Schatten und lasse die Welt per Twitter an meinem Erfolg teilhaben. Das Seniorenpaar von unterwegs biegt um die Ecke. „Der Mann von vorhin!“ ruft sie ihm zu. „Weiß ich doch!“ sagt er. „Geht’s hier nach Lübben?“ fragt die Frau. Ich bejahe. „Und zur Mühle?“ fragt er. „Geradeaus!“ sage ich, während sie schon ruft: „Komm jetzt!“ „Die Mühle ist heute sowieso zu!“ „Macht nichts, wir waren ja schon mal da….“ ruft er, während sie weiterfahren. Was für ein Glück für die Frau an der Mühle.